Theologie
Frauen gestalten Reform(ation)en in Kirche und Moschee
18.02.2018
Vom 10. bis 11. Februar 2018 fand in der Cranach-Herberge zu Lutherstadt Wittenberg die jährliche Tagung für ehrenamtlich kirchenleitende Frauen statt, die als Veranstaltung der EKM durch die Gleichstellungsstelle im LKA und die Ev. Frauen in Mitteldeutschland inhaltlich konzeptualisiert und durchgeführt wird. In diesem Jahr begaben sich die anwesenden Frauen gemeinsam mit der ersten gemeindeleitenden Imamin in Deutschland, Seyran Ateş, in einen interreligiösen Austausch.
Am Beispiel der „Liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee“, die in Berlin von ihr gegründet wurde, stellte sie anschaulich dar, dass weibliche und männliche Sunniten, Schiiten und Anhänger*innen anderer islamischer Glaubensrichtungen gemeinsam beten und einen modernen, friedlichen, liberalen und toleranten Glauben leben können. Die muslimische Frauenrechtlerin und Juristin sieht die Reformation in Deutschland als Vorbild, an dem sich der Islam orientieren müsse. Sie hoffe aber, die Muslim*innen bräuchten keine 500 Jahre mehr für die notwendige Erneuerung. Ateş führte aus: „Es ist ein Fehler, zu glauben, dass die Welt ohne Religion besser ist. Das ist sie nicht. Die Frage nach Gott treibt fast alle Menschen um, auch Atheisten. Wir dürfen unsere Religion und die Beschäftigung mit ihr nicht den Rückständigen überlassen.“ Seyran Ateş erlebe es in vielen muslimischen Ländern, dass Millionen Frauen und Männer islamischen Glaubens von Reformen träumten – unter anderem von der Gleichberechtigung der Geschlechter: „Von Marokko bis Indonesien gibt es Millionen von Menschen, die leben wollen wie die gläubigen Christen in Deutschland – Frauen und Männer zusammen.“
So wurde im anschließenden Gespräch sichtbar, dass sie den Vergleich zwischen dem Kreuz unserer Kirche und dem Kopftuchtragen der muslimischen Frauen als unzulässig einordnet. Das Kreuz – und so begründet und sieht es auch die liberale Muslima – steht für die Christ*innen als Religionsgemeinschaft, und ist laut ihr in der heutigen Zeit „ein Teil der Garantie für Demokratie“ in unserer Kulturgemeinschaft. Hingegen sei das Kopftuch lediglich eine (mittlerweile politisch benutzte) Kleiderordnung, die als solche im Koran nicht festgeschrieben sei. Insgesamt mahnte die Gastreferentin, ähnlich wie vormals die Wittenberger Reformatoren an, sich mehr und gründlicher an den Quellen und Wurzeln des eigenen Glaubens zu orientieren als an den überfrachteten und interessengeleiteten religiösen Traditionen.
In den Tagungsworkshops ging es zentral um die Frage, was verbindet uns als Christinnen und Musliminnen miteinander und wie kann dieses Verbindende gestaltet werden? Beispiele gelungener Praxis, wie ein interreligiöser Oasentag für Frauen oder ein Seminar zur Frauenmystik im Islam und Christentum kamen zur Sprache zusammen mit weiteren Vorschlägen für künftige Angebote.
Am Abend sahen die Teilnehmerinnen, die Multiplikatorinnen für das Gehörte und gemeinsam Erarbeitete sind, den Film “Das Mädchen Wadjda“ von der Regisseurin Haifaa Al Mansour. (Entleihbar in der Medienzentrale der EKM). Die offizielle Begrüßung der Tagungsgruppe durch Herrn Superintendenten Beuchel beim Sonntagsgottesdienst in der Wittenberger Schlosskirche und die Mitgestaltung des Gottesdienstes trug den Wunsch der Frauen nach interreligiösem Dialog auch in die Wittenberger Schlosskirchengemeinde hinein.
Im Resümee der Tagung wurde deutlich, dass der interreligiöse Dialog der Frauen eine große Intensität des Austausches und gemeinsamen Lernens ermöglichte. Es wurde verabredet, den Dialogweg der Frauen - so oder auf ähnliche Weise - weiter hoffnungsvoll zu beschreiten. So können wir mit Muslim*innen – sowohl gegen Islamismus als auch gegen Islamfeindlichkeit wirken.
Bericht: Jana van Wahden, Evangelische Frauen in Mitteldeutschland